R O U S S I L L O N

 

" Unter den Markisen der Cafes fühlte ich mich wie in einem Musical voller fröhlicher und beschwingter Melodien."

Laurence Wylie in "Un Village du Vaucluse".

 

Der Harvard-Professor Laurence Wylie beschrieb sowohl Einwohner als auch den Ort Roussillon, den er in seinem Buch
"Peyrane" nannte, über mehrere Jahre. Er begann im Jahr 1950 mit dem Ziel, die Soziologie eines typischen französischen Dorfes
zu beschreiben, um die Lebensart seinen Studenten näher zu bringen. Als Buch aufgelegt, erzielte die Schilderung einen der-
artigen Erfolg, dass die enthusiastischen Leser, die sich nicht durch den falschen Ortsnamen in die Irre führen liessen, einen
wahren Besucherboom in Roussillon wie im gesamten Luberon auslösten. Einen ähnlichen Effekt erzielte Peter Mayle mit seinem
Buch "Ein Jahr in der Provence" in den 80er Jahren.

Überhaupt hat der Luberon einen rapiden "Aufstieg" hinter sich. Lange Zeit hatten die Einheimischen wenig Interesse an ihrem
Kulturerbe gezeigt. So verfielen die teilweise über hundert Jahre alten Gemäuer, die Mauern wurden abgetragen, uralte Berg-
nester verrotteten, weil neue Siedlungen in der Ebene bevorzugt wurden. Die Landflucht tat ihr Übriges, die Bewohner wanderten
zu besser bezahlter Arbeit in die Städte ab.

Jedoch gab es auch eine Gegenbewegung. Aus den Städten kamen Urlauber auf der Suche nach vergangener Zeit und Ruhe vor
der alltäglichen Hektik. Sie fingen an, verlassene Bauernhöfe und Dorfhäuser zu kaufen, erzählten von ihrem Zweitwohnsitz im
Luberon. Nach Gründung des Theaterfestivals in Avignon 1947 wurde der Landstrich zum Geheimtip für Kulturschaffende. Die
Preise für die heruntergekommenen Gemäuer, die vormals fast verschenkt wurden, schossen in die Höhe. Heute werden
Millionensummen für einen gut restaurierten Landsitz geboten.

Nichtsdestoweniger trugen diese Investitionen auch zur Gesundung des örtliche Handwerks und der Wirtschaft bei. Plötzlich
lohnte es sich für die Einheimischen wieder, ein Cafe oder einen Laden zu besitzen. Viele Gehöfte und Häuser wurden von ihren
neuen Besitzern liebevoll saniert und gepflegt, so dass sie heute wieder wie vor hundert Jahren aussehen.

Nicht von der Hand zu weisen sind allerdings die mit den steigenden Besucherzahlen einhergehenden Probleme ökologischer und
verkehrstechnischer Natur. Wer tagsüber Roussillon oder ähnlich bekannte "Dörfer" im Luberon besucht, findet sich unversehens
im Gewühl der Fussgängerzone einer Grosstadt während der Vorweihnachtszeit wieder - nur die Temperatur ist anders. Kaum
zu glauben dannn die Ruhe und Gelassenheit, die abends nach der Abfahrt des letzten Tagesausflüglers herrscht. Ich kenne kaum
einen schöneren Ort zur abendlichen Retrospektive des Tages als den fast mediterran anmutenden, kleinen zentralen Platz unter-
halb der alten Wehrkirche in Roussillon.

Die grösste Anziehungskraft auf Besucher Roussillons üben zweifelsohne die aufgelassenen Ockerbrüche des Ortes aus. Wer aus
seinem alten Schulmalkasten noch das blasse, schmutziggelbe Näpfchen mit der Aufschrift "ocker" in Erinnerung hat, wird hier eines
Besseren belehrt. Der Nelles-Führer "Provence" schreibt: "Wenn man Roussillon auf der Strasse verlässt, glaubt man nach einer
scharfen Kurve Wahnvorstellungen zu haben: Mit dunklen Pinien bestanden fallen steile Felsen ins Tal ab. Die Farben der Felsen
entsprechen exakt denen der Häuser, 17 verschiednen Farbnuancen von Ocker über Karminrot bis Goldgelb, von Rosa bis Braun,
hat man gezählt."
Nun, Wahnvorstellungen sind für den mediengesättigten heutigen Touristen zwar
etwas übertrieben, jedoch,
was die Ockervielfalt,die sich in den alten Brüchen, die heute "Val des Fees" - Feental - genannt werden, den Augen zeigt, nötigt
dieser lapidaren Farbbezeichnung eine andere Sichtweise ab. Je nach Sonnenstand von leuchtend bis zurückhaltend matt - aber
nie "bunt" -, sondern durch die Materialbeschaffenheit und Oberfläche einheitlich changierend, bietet dieses Tal eine Lektion im
Farbensehen, auch wenn Rot der dominierende Ton ist.

Ocker ist eine Verbindung von sandigem Lehm und Eisenoxid, mit dem, gewaschen, aufgeschwemmt und teilweise durch Brennen farb-
intensiver gemacht, schon die Römer ihre Fresken farbig gestalteten. In der Provence verleiht das sonnenresistente Pigment seit je her
Häuserfassaden ihren Charakter. Ocker wird Keramiken, Autoreifen und Kosmetika zugesetzt. Selbst das als "papier mais" bekannte gelbe
Zigarettenpapier verdankt seine Tönung dem Ocker. Heute wird das früher von Ockerbauern verkaufte feingemahlene Naturpigment durch
synthetische Produkte ersetzt. Nicht zuletzt sei erwähnt, dass der Ire Samuel Beckett im Zweiten Weltkrieg als Tagelöhner und Emigrant
bei einem Ockerbauern in Roussillon Unterschlupf fand und dort sein Stück "Warten auf Godot" geschrieben haben soll .

zu den Bildern

DER ORT

DIE OCKERBRÜCHE

 

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